In Deutschland ist der Jugendfußball gut aufgestellt – zumindest auf professioneller Ebene. Dank der erfolgreichen Nachwuchsförderung des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) schaffen es immer mehr talentierte Nachwuchskicker frühzeitig in den Profi-Kader ihrer Vereine oder gar in die Auswahl der A-Nationalmannschaft.
Amateurvereine können von der professionellen Nachwuchsförderung lernen, auch sie können – selbstverständlich in kleinerem Rahmen – Konzepte für große Fußballtalente initiieren. Für viele Vereine ist das überlebenswichtig, denn: Gute Nachwuchsförderung ist die Voraussetzung für modernen Jugendfußball und eine Investition in die Zukunft des Erwachsenenfußballs.
Doch was genau können sich kleine Dorfvereine vom DFB-Nachwuchskonzept und vom professionellen Jugendfußball abschauen? Was zeichner die Förderung talentierter Fußballer beim DFB aus und macht sie so erfolgreich? Dazu ist ein Blick in die Vergangenheit unerlässlich …
„Rumpelfußball“ und das EM-Fiasko
Bundestrainer Joachim Löw legt sehr viel Wert auf die Nachwuchsförderung und den Jugendfußball, wie unter anderem sein Kader für die Europameisterschaft 2016 in Frankreich belegte: Zu den 23 Spielern gehörten auch die Debütanten Joshua Kimmich vom FC Bayern München und der Dortmunder Julian Weigl.
Dass der deutsche Bundestrainer vor Welt- und Europameisterschaften aus einem großen Spielerreservior schöpfen kann, war nicht immer so. Um die Jahrtausendwende lag der Jugendfußball in Deutschland brach, dem DFB fehlte ein echtes Konzept für den Fußballnachwuchs – junge Talente wurden schlecht gefördert und vor allem: Begabte Nachwuchskicker wurden oft gar nicht entdeckt, das professionelle Talentscouting in Deutschland war nahezu nicht vorhanden, das Durchschnittsalter der A-Nationalmannschaft zu hoch.
Der deutsche „Rumpelfußball“, von dem viele Kritiker damals sprachen, erreichte seinen Höhepunkt bei der Fußball-EM in Belgien und den Niederlanden im Jahre 2000. Deutschland erzielte in drei Spielen nur ein einziges Tor und schied bei dem Turnier in der Vorrunde als Gruppenletzter aus – ein Debakel. Vor allem im Hinblick auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 im eigenen Land musste sich grundlegend etwas ändern, der deutsche Fußball musste an seinen Strukturen einschneidende Veränderungen vornehmen.
Die Ursache für den miserablen Zustand des deutschen Fußballs war schnell gefunden: „Nicht genügend forcierte Talentförderung“ und „nicht ausgeschöpfte Potentiale in der Nachwuchsförderung der Lizenzvereine“, heißt es in der DFB-Schrift „Auswertung der Talentförderung – Eine Bilanz“, erschienen im Jahr 2010. Außerdem erkannte der DFB „Defizite in der flächendeckenden Sichtung und Förderung“. Der DFB zog mit seinem damaligen Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder die richtigen Schlüsse nach dem frühen EM-Aus und initiierte zusammen mit den Landesverbänden ein neuartiges Nachwuchskonzept.
DFB initiiert modernes Nachwuchskonzept
Die neue DFB-Jugendförderung sollte junge Fußballtalente wieder in den Mittelpunkt der Trainingsarbeit rücken und den deutschen Jugendfußball auf eine neue Ebene heben. Dazu sollten unter anderem die Strukturen der Bundesligavereine geändert, die Talentsichtung professionalisiert und die Trainingsbedingungen im Jugendfußball verbessert werden.
Die theoretischen Ansätze setzten die Verantwortlichen überraschend schnell in die Praxis um: Bereits Ende des Jahres 2000 wurde die Deutsche Fußball Liga GmbH (DFL) gegründet, die seitdem die Organisation und die Vermarktung des Profifußballs in Deutschland übernimmt. Zu den Aufgaben der DFL gehört auch die Lizenzierung der 36 Proficlubs der 1. und 2. Bundesliga – unter anderem mittels sportlicher, rechtlicher und insbesondere finanzieller Kriterien.
Und es ging rasant weiter: Ab der Saison 2001/2002 verpflichtete der DFB alle 18 Erstligisten dazu, ein Nachwuchsleistungszentrum aufzubauen. Laut der dazu entwickelten Richtlinie war das Ziel des DFB, „die Qualität der Talentförderung im Lizenzbereich und oberen Amateurbereich zu optimieren“. Die Leistungszentren sollten eine „qualitativ hohe Ausbildung talentierter Nachwuchsspieler in den verschiedenen Altersklassen gewährleisten“.
DFB-Elite-Jugend-Lizenz
Für die Nachwuchsabteilungen der Bundesligavereine bedeutete das konkret Folgendes: Die Trainingsgelände müssen seitdem über mindestens vier Plätze verfügen, im Winter muss eine nahegelegene Halle Ausweichmöglichkeiten bieten, alle Trainer müssen mindestens Inhaber der DFB-Elite-Jugend-Lizenz sein oder den entsprechenden Lehrgang bereits begonnen haben, außerdem müssen – als Mindestanforderung – ein Arzt, zwei Physiotherapeuten, ein Reha- und/oder Fitnesstrainer, ein pädagogischer Mitarbeiter und ein psychologischer Mitarbeiter in Diensten der Leitungszentren stehen.
Im Zuge der Modernisierung des deutschen Jugendfußballs änderten sich allerdings nicht nur die Strukturen, auch die Inhalte wurden neu ausgerichtet. Die DFB-Richtlinie zum deutschen Fußballnachwuchs schreibt ein tiefgreifendes Jugendförderprogramm vor, in dem unter anderem Ausbildungsziele und die außersportliche Betreuung der Nachwuchsspieler sowie das Zusammenspiel von Schule und Sport festgeschrieben sind. Die Erstligisten haben nun die Pflicht, „jedem Spieler den für ihn höchstmöglichen Schulabschluss zu ermöglichen und die Vereinbarkeit der schulischen Ausbildung mit der sportlichen Karriere zu fördern“.
Nicht zuletzt definierte der DFB die Kriterien für das Talentscouting neu und führte eine Art Rasterfahndung für begabte Nachwuchskicker ein. Diese systematische Talentsuche, die bereits Zwölfjährige erfasst, folgt seitdem einem ausgeklügelten Plan: Der DFB verpflichtete alle Profiklubs dazu, Akademien zu gründen, in denen die talentierten Fußballer ab einem Alter von 14 Jahren wohnen dürfen und in Kooperationsschulen unterrichtet werden. Zusätzlich gründete der DFB überall in Deutschland Trainings- und Sichtungsstützpunkte, an denen Fußballlehrer seitdem die besten Spieler nach ihren Fähigkeiten beurteilen.
DFB-Jugendfußball: Vorbild für Dorfvereine?
Die Änderungen im deutschen Jugendfußball griffen schnell und bereits bei der „Heim-WM“ 2006 konnte der DFB erste Früchte seiner modernen Nachwuchsförderung ernten. Unter dem damaligen Bundestrainer Jürgen Klinsmann und seinem Co-Trainer Joachim Löw spielte die deutsche Nationalmannschaft ein überraschend starkes Turnier und belegte einen hervorragenden dritten Platz – das „Sommermärchen“ war geboren.
Auch wenn die damaligen Nachwuchskicker Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski bereits vor den weitreichenden Umwälzungen im deutschen Jugendfußball entdeckt worden waren, so profitierten sie dennoch von der neuen Ausrichtung des DFB und leiteten die „Goldene Ära“ der A-Nationalmannschaft ein: Technik, Taktik und Spielverständnis bekamen nun einen höheren Stellenwert eingeräumt als die typischen deutschen Tugenden Kampfgeist, Disziplin und Ehrgeiz.
Der „neue“ deutsche Fußball hatte nichts mehr mit dem „Rumpelfußball“ zur Jahrtausendwende zu tun, im Gegenteil: „Wir spielen den schönsten Fußball auf der ganzen Welt!“, titelte bereits 2010 die Online-Ausgabe der „Bild“-Zeitung – diesem Urteil schloss sich übrigens auch die italienische Tageszeitung „La Repubblica“ an. „Lance!“, eine große brasilianische Sportzeitung, ging sogar noch weiter und schrieb nach dem Sieg der DFB-Elf im WM-Viertelfinale 2010 über Argentinien Folgendes: „Deutschland spielt nicht wie früher. Es ist schnell, zielstrebig und geschmeidig.“
Der Umbruch im deutschen Jugendfußball vor mehr als einem Jahrzehnt kam gerade noch rechtzeitig – und der verdiente Lohn war der WM-Titel in Brasilien 2014. Das Nachwuchskonzept des DFB hat sich inzwischen mehr als ausgezahlt. Es sollte in seiner Struktur Vorbild für große und auch kleine Vereine sein. Selbst Dorfvereine können in Sachen Talentscouting, Nachwuchsförderung und Trainingsmethodik Lehren aus der Herangehensweise des DFB ziehen.